„Freiwilligen-Monitor Schweiz“: Das Glas ist halb voll! Das Gejammer um mangelnde Freiwillige ist allgegenwärtig. Aber ist es wirklich so schlimm? Der kürzlich bereits zum dritten Mal publizierte «Freiwilligen-Monitor Schweiz» gibt zu dieser Frage eine differenzierte Antwort.
Tatsächlich zeichnet sich ein Rückgang in der Formellen Freiwilligenarbeit und bei Ehrenämtern ab: waren 2006 noch 28% der Wohnbevölkerung (ab 1 5 Jahren) in Organisationen und Ämtern freiwillig tätig, sind es 2014 nur noch 25%. Stabil geblieben ist hingegen das freiwillige Engagement ausserhalb von Organisationen z.B. im Familienverbund oder in der Nachbarschaftshilfe (die sog. Informelle Freiwilligenarbeit) mit rund 38% Beteiligung. Wenn man Doppelzählungen ausschliesst, kann man feststellen dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung sich freiwillig für die Gesellschaft engagiert. Sehen wir es positiv: das Glas ist mindestens halbvoll.
Entwicklungen beobachten
Selbstverständlich gibt es auch Veränderungen. So sind z.B. Frauen vermehrt berufstätig und stehen deshalb in Organisationen weniger zur Verfügung. Das kann ich in „meinem“ Verein – dem Seniorendienst Allschwil/Schönenbuch – sehr gut beobachten. War es bis vor kurzem gang und gäbe, dass Frauen über drei Jahrzehnte freiwillig tätig waren, steigt jetzt die Generation der berufstätigen Frauen nach der Pensionierung ein. Weiter wollen sich beide Geschlechter nicht mehr langfristig engagieren, zumindest zu Beginn der Freiwilligentätigkeit ist das ein Argument. Und dann spielt die Migration auch noch eine nicht zu unterschätzende Rolle: Zuzüger aus südlichen Ländern kennen oft nur das Engagement in der eigenen Familie. Hier gibt es ein neues Rekrutierungsfeld.
Sozialer Reichtum in Baselland
Im Gegensatz zur Stadt verfügt der Kanton Basel-Landschaft mit seinen zahlreichen Organisationen in den Gemeinden über ein beträchtliches soziales Kapital. So gibt es praktisch in jeder Gemeinde eine Dienstleistungsorganisation im Altersbereich. Nicht nur die Namen (Senioren für Senioren, Drehscheibe, Seniorendienst etc.) sind unterschiedlich, auch das Angebotsspektrum und die Organisation. Auf Gemeindeebene sind diese Organisationen i.d.R. gut vernetzt und anerkannt, aber bereits auf Kantonsebene kaum bekannt. In Basel-Stadt wirkt sich der Rückzug der Kirchen aus – einst ein bedeutender Träger für Freiwilligenarbeit gerade im Altersbereich.
Zeitgutschriften – ziemlich aufwändig
In den letzten Jahren wurde von den Medien das Modell «Zeitvorsorge» der Stadt St. Gallen als Lösungsansatz für mehr Engagement propagiert. Auch in Luzern gibt es eine solche Organisation. Andere sind im Aufbau. Leistungsfähige Rentner und Rentnerinnen sollen im Austausch gegen Zeitgutschriften häusliche Unterstützungsdienste für hilfsbedürftige Betagte leisten. Die angesparten Zeitguthaben können später gegen entsprechende Leistungen eingetauscht werden. Das St. Galler-Modell wird korrekterweise nicht als Freiwilligenarbeit bezeichnet, da ja ein „Gegenwert“ versprochen wird. Im dritten Betriebsjahr 201 5 arbeiteten dort 81 Personen insgesamt mehr als 6‘000 Stunden. Die Stadt St. Gallen leistet einen jährlichen Beitrag von 1 50‘000 Franken an die Betriebskosten. Gemäss Bericht an das Stadtparlament geben nur 1 /4 bis 1 /3 der Beteiligten die Zeitgutschrift als Motivation an, sich zu engagieren.
Zeit schenken!
Neben den Aufwand-/Nutzen-Überlegungen zu Zeitgutschriften gibt es grundsätzlichere Aspekte zu bedenken. Dies gilt insbesondere für Pensionierte, die nicht mehr um ihren Lebensunterhalt kämpfen müssen. Wir wissen nicht, wieviel Lebenszeit uns noch zugemessen ist. Diese Zeit ist uns ja geschenkt. Da sollte die Gegenleistung keine Rolle mehr spielen. Gerade älteren Menschen, die oft alleine sind, können Sie damit das grösste Geschenk machen.